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Hymne au Soleil

Musik Lili Boulangers mit dem Kammerchor C21 und Tomas Dratva auf Schloss Lenzburg

Sinnlich, lyrisch, sanft schwebend und meditativ kreisend, sich immer wieder steigernd, in kleine Ausbrüche mündend: Die klangliche Welt Lili Boulangers (1893 – 1918) ist intim und innig, lebendig und perlend, in grossen Bögen gestaltet und stets tief empfunden. 

Lili Boulangers Chorbehandlung ist meisterhaft. Oft treten einzelne Register phrasenweise hervor und tauchen wieder ab in einen Klangstrom mit deklamatorischer Prägnanz. Die Musik lebt von ihrer reichhaltigen Harmonik und einer oft organischen Entwicklung. Auch wenn das impressionistische Klangbild oft an Claude Debussy erinnert, zeichnet sich die Musik dieser mit nur 24 Jahren verstorbenen Komponistin durch einen charaktervollen Personalstil aus. Nebst den Stücken für Chor und Klavier kommen auch Sololieder und Werke für Klavier solo zur Aufführung.

Schon alleine die Titel der Werke sind voller Poesie und assoziativ, als würde man sich durch eine Ausstellung mit Bildern bewegen: La source, D’un vieux jardin, Soleils de septembre. Der Entscheid, diese selten aufgeführte Musik als Serenade im Spätsommer im besonderen Ambiente vom Schloss Lenzburg aufzuführen, hat sich durch diese Bildhaftigkeit geradezu aufgedrängt. Die Schlüsselwerke des Konzertprogramms Hymne au soleil und Soir sur la plaine entstanden 1912/13, der Phase in Lili Boulangers Leben, wo sie sich für den Prix de Rome bewarb und diese Auszeichnung mit nur 19 Jahren als erste Frau überhaupt auch gewann. Durch den Entscheid, das ganze Programm mit Musik derselben Komponistin zu gestalten, gewinnt es an Prägnanz und Geschlossenheit. Gleichzeitig versprechen die unterschiedlichen Affekte der einzelnen Stücke, sowie die Kontraste in den längeren Kompositionen mit kurzen Solo- sowie mit Frauen- und Männerchor-Passagen ein abwechslungsreiches Eintauchen in eine besondere klangliche Welt von vor rund 100 Jahren.  

Lili Boulanger wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Ihr Vater Ernest Boulanger, bei Lilis Geburt bereits 77 Jahre alt, war gestandener Komponist, Rompreisträger, Dirigent und schliesslich Professor für Gesang am Pariser Conservatoire Dort lernte er auch Lilis Mutter, die Sängerin Raissa Mytchetsky, kennen. 1887 kamen Nadia Juliette und 1893 Marie-Juliette Olga, genannt Lili, zur Welt. Lilis Gesundheit war nach einer frühkindlichen Infektion zeitlebens fragil. Sie besuchte zwar zunächst mit ihrer älteren Schwester Kompositionsstunden am Pariser Conservatoirem, musste aber ihre Ausbildung wegen längerer Sanatoriumsaufenthalte immer wieder unterbrechen. Im Jahr 1913 gewann sie mit ihrer Kantate «Faust et Hélene» den Prix de Rome und damit ein Stipendium sowie einen mehrjährigen Künstleraufenthalt in der Villa Medici in Rom. Das Urteil zugunsten Lilis war bemerkenswert: Die Jury votierte mit einer überwältigenden Mehrheit von 31 gegenüber 5 Stimmen für die junge Frau. 

Der Aufenthalt in Rom wurde jedoch nicht nur durch gesundheitliche Probleme überschattet, sondern endete bereits mit der Generalmobilmachung Italiens im August 1914. Die junge Frau kehrte nach Paris zurück und arbeitet karitativ, indem sie u.a. mit musikalischen Soldaten Briefkontakte führte oder deren im Feld entstandenen Werke korrigierte. 

1916 wurde Lili Boulanger von ihren Ärzten eröffnet, dass ihr nur noch wenig Lebenszeit blieb. In dieser Phase entsprang ihrer tiefen Religiosität unter anderem der Psaume XXIV (Psalm 24). Diese Vertonung – mit seinem unglaublich lebensbejahendem Impetus – hat als einzige geistliche Komposition Eingang in unser Programm gefunden, das ansonsten geprägt ist von lyrischen Naturbildern. 

Mit Tomas Dratva konnte für unser Konzertprojekt ein Pianist mit besonderer Affinität für diese Musik gewonnen werden. Die Sopran-Solopartie gilt es noch zu besetzen. C21 sang bereits im Mai 2019 zusammen mit den Aargauer Vokalisten und argovia philharmonic Boulangers symphonischen Psalm «Du fond de l’abîme» (Psalm 130). Als Dirigent freue ich mich, nun mit C21 eingehend in die kammermusikalische(re) Welt dieser aussergewöhnlichen Komponistin einzutauchen und das rund einstündige Programm für den 19. September differenziert auszuarbeiten.